Auch dieses Mal überkommt ihn das Gefühl der Angst. So oft geflogen, unzählige Male gestartet, gelandet. Ein einwandfreier Flug. Laut Statistik steht die Fliegerei oben in der Tabelle der unfallfreien Reisemöglichkeiten. 1. Klasse ab Frankfurt über den großen Teich. Da bleibt viel Zeit. Entweder er findet schnell in den Schlaf, kann lesen ohne Nebengeräusche im Kopf oder es überkommt ihn einfach. Dann kann er nur eins machen. Diesen Gedanken nachhängen durch sie hindurch gleiten damit es schnell vorbei ist. Fliegen ist einerseits eine Leidenschaft und doch auch immer wieder die große Überwindung. Beim Besteigen seiner eigenen kleinen Maschine fehlt das einfach. Er liebt es zu Fliegen. Selbst das Steuer in der Hand zu haben. Doch hier in dem großen Flieger. Sitzt er nur da, kann nichts steuern. Darauf hoffen, dass alles funktioniert. Die Piloten alles richtig machen.

Das Vertrauen fehlt ihm in manchen Momenten. Dann kommt diese Ursprungsangst hoch. Immer wieder aufs Neue. Sämtliche Methoden das Gefühl loszuwerden hat er probiert. Doch eines weiß er: Je mehr er sich dagegen sträubt, umso schlimmer wird sie. Lässt er sie zu. Dauert es eine Weile, doch sie vergeht einfach schneller. Sie umarmen und in Liebe annehmen, das kriegt Marcos immer noch nicht regelmäßig hin. Jedes Mal hat er das Gefühl: sie steigt die Wirbelsäule an ihm hoch. Kommt aus den Tiefen der Erde, bis sich in seinem Kopf ein Krater sich auftut.

So beginnt es dieses Mal noch vor dem Start. Marcos stellt sich auf ein langes Gespräch mit sich selber ein. Auch, dass entpuppte sich vor langer Zeit als eine Form davon. Was ihn am meisten noch nervt, nicht zu wissen, ob es schnell geht oder lange dauert. Heute wird es auf jeden Fall eine längere Version, so viel steht fest. Also macht Marcos es sich bequem in seinem 1 Klasse Sitz. Den Alkohol lässt er immer aus seiner Bordbar entfernen. Er trinkt keinen mehr und will das Zeug einfach nicht in seiner Nähe haben. Seine Sinne lehrten ihn eines besseren, ihnen kann er Vertrauen. Auf jeden Fall lohnt es sich die Angelegenheit, welche auch immer das ist, genauer anzuschauen. Zu handeln. So beschließt er nach dem Start freiwillig das Gespräch mit der Angst von sich aus zu beginnen.

Der Tod seines Mannes ist grad erst einen Monat her. Der Schmerz liegt immer noch so tief und breit auf seiner Seele, dass er ihm auch körperlich zu schaffen macht. Die Gewichte im Studio wiegen gefühlt mehr wie doppelt. Jede Bewegung schmerzt. Das Alleinsein im Haus. Die Wochenenden. Auch wenn Freunde, Familie sich um ihn kümmern. Die Leute im Studio sind sowas von fein zu ihm. Helfen, scherzen mit ihm. All die Homophoben werden abgeblockt oder sogar aus dem Studio geschmissen. Doch am Abend, wenn es Zeit ist zu Bett zu gehen. Ist er allein. Liegt kein Josh neben ihm oder kommt in der Nacht dazu. Sein Geruch, die Wärme unter der Bettdecke. Der Sex mit ihm oder auch nur einfach diese langen Stunden an Streicheleinheiten. Das beisammen Liegen. Nur so. Gemeinsam in den Himmel starren. Die Luft, Feuchtigkeit der Nacht genießen. All das fehlt Marcos. Und versetzt ihm eine Heidenangst.

Das ganze kommt nun noch zu der Ursprungsangst, die es ursprünglich in ihm gibt, dazu. Die er mit all seinen Macken gut im Griff hat. Doch jetzt kommt es doppelt so schwer zu ihm. In solchen Momenten mag er nicht daran denken. Doch erstmal den Start hinter sich bringen. Grade sitzen. Augen zu, ab durch die Mitte. Wenn der Druck auf den Körper steigt, er sich da hinein fallenlassen kann, erzeugt es in ihm eine Emotion von Freiheit.

Doch heute ist alles anders. Genau einen Monat ist der Mord an seinem Josh nun her. Schon hier steigt neben dem Druck des Fliegers, ebenso der Druck durch die Wirbelsäule aus den Tiefen der Erde. Es macht ihn quasi ohnmächtig. Es schüttelt Marcos so von ganzem Herzen durch. Als würde er Josh in seinem Armen halten. Dieser Gedanke hilft. Sein Josh neben ihm. An seiner Seite. So wie die beiden sich kennen und lieben lernten. Das alleine war schon eine Angstgeschichte.

Beiden hielten Ihr Interesse zurück. Keiner wusste, was der andere möchte, sich wünscht. Weil beiden zu feige waren, es zu sagen. Beide hatten Angst vor der Ablehnung des anderen, ihrer Begierde. Sie erschlägt ihn grade.

Diese Kombination aus zwei grundverschiedenen Ängsten. Mehr denn je.

Nun steht sie vor ihm größer und erdrückender wie je zuvor. Marcos bemüht sich krampfhaft sie zu umarmen, sie hindurchfließen zu lassen. Damit sie verschwindet. Er seine Ruhe hat und einfach nur schlafen, lesen, Film gucken kann.

Als kleines Licht neben ihm, doch so hell wie die Sonne strahlt Josh. Ganz klein. Wie ein Glühwürmchen. Flattert er um ihn herum. Beschützt ihn. Berührt seine Wange. Hilft ihm diese Angst zu ertragen. Um endlich sein Gespräch mit der Angst abhalten zu können. Mit dieser gewaltigen Angst reden? Damit sie ihn in Ruhe lässt? Eigentlich ein absolutes No-Go. Doch notwendig.

Klein, Kleiner, aufrecht unter dem Teppich daher laufen, lautet eher die derzeitige Devise.

Neue Gedanken schießen von Josh inspiriert durch seinen Kopf. Ihm ist auch bewusst, diese Angst besitzt ebenso eine hilfreiche Seite. Seine Geschäfte , seine privaten Angelegenheiten zu regeln. Richtige Entscheidungen zu treffen. Oder zumindest wie bereits erwähnt, sich Gedanken darüber zu machen, was die beste Wahl ist. So wird diese Angst ein ständiger Begleiter bleiben. Ein Begleiter der, richtig eingesetzt, auch zu gutem fähig ist. Auch wenn sie grad im Moment einfach zu stark daher kommt. Diese Angst wieder und den Rest seines Lebens alleine zu bleiben. Das beseelt ihn so derart. Auch, dass Josh einem Hate Crime zum Opfer gefallen ist. Was im Gym zu viel Gerede und ist ja toll, wieder eine Schwuchtel weniger, führte.

Doch keiner machte die Rechnung mit den wahren Besitzern, die mit schwulen zum einen kein Problem haben, diese auch in der Community unterstützen. Alle die sich öffentlich als Homophob herausstellten, wurden schlicht und ergreifend mit sofortiger Wirkung hinausgeschmissen.

Was alles super ist. Das Leben geht weiter. Doch diese ursprüngliche Angst ohne Josh nun leben zu müssen, schnürt ihm die Kehle zu. Immer wieder. Lähmt den Körper, der durch ein härteres Training nun noch härter wurde. Die Angebote anderer Männer da sind. Zu Hauf. Er sieht gut aus. Hat Humor. Ist nicht arm. Doch alle, die ihn anbaggern oder ihm nahe kommen wollen. Sind so leer. Er fühlt rein gar nix. Was ihm auch wieder Angst macht. Er will nicht so leer durchs Leben gehen. Der Verstand sagt ihm:- Du brauchst Zeit. Gebe sie Dir- Doch seine Freude am Leben kennt grad nur den Schmerz.

Ein Schmerz, der ihn jetzt doch in einen tiefen Schlaf fallen lässt, mit Josh in seinen Armen. Die Angst steht neben ihm, lächelt liebe und-friedvoll auf die beiden hinab.

Es wird ihm warm ums Herz. Das merkt er noch. Kann seit langem friedlich schlafen. Erholsam, nicht gerädert. So prägt sich ein Bild in seinen Kopf. Josh sitzt neben ihm, die Angst hinter Ihnen liebevoll und friedlich beschützend.

„Angst“ von 1991

Neu bearbeitet, 06.08.2024